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Krisen-Inszenierung

Die Inszenierungen im Krisenstab, wo posierende Politiker nur stören können, und das Kreisky Zimmer als hell erleuchtetes Fotostudio zeigen den Missbrauch einer echten Krise für falsche Bilder. Sie sollen die Illusion erzeugen, ein umsichtiger Mann könne eine Megakrise mit all seiner Kraft lösen, wenn man ihn nur ließe. Dieses Vortäuschen ist verantwortungslos. Vielleicht lernen wir aber auch etwas aus der Krise: Ereignisse wie Corona sind nur gemeinsam und grenzüber-greifend zu bewältigen, für uns im Rahmen der EU.

Corona – was bedeutet das für uns im Moment? Schon diese Frage ist schwer zu beantworten. Pandemie? Panik? Ein Test für die Gesundheitsbehörden? Ein Auftrag an Spitzenforscher und Pharmakonzerne, einen neuen Impfstoff zu entwickeln? Alles davon, ganz klar. Aber welche Auswirkungen wird dieses Virus, das sich so rasant ausbreitet und offenbar Menschen ganz unterschiedlich angreift, zukünftig auf unsere so klein gewordene globale Gesellschaft haben?

Die Behörden sollen mal in Ruhe arbeiten können, Ärzte müssen den Infizierten helfen und den Krankheitsverlauf beobachten. Aber sobald das Virus beherrschbar sein wird, müssen wir darüber reden, wie leicht unsere vernetzte Welt aus den Fugen gerät. Die ökonomische Abhängigkeit voneinander hat ja ihre Vorteile. Auch diktatorische Regime, wie jenes in Peking, können nur beschränkt andere Regierungen unter Druck setzen, weil sie selbst von anderen und von fremden Währungen abhängig sind, und auch Berserker wie Trump können nicht rücksichtslos Handelsabkommen kippen. Aber diese engen globalen Lieferketten führen die Weltwirtschaft sehr schnell in eine Rezession, sobald sie auch nur ein wenig ins Stocken kommen.

Und wenn die Wirtschaft schrumpft, dann wird eine schnelle Senkung der Zinsen diesmal sicher nicht helfen. Zunächst einmal, weil sie ohnehin schon nahe am Nullpunkt sind, und weil das Funktionieren unseres Wirtschaftssystems diesmal hinterfragt werden wird. Anders als etwa bei 9/11, wo es darum ging, das politische System zu stabilisieren. Die Produktion „just in time“, die Logistik, vielleicht sogar die Art der Produkte wird in Diskussion stehen. Oder die Frage, warum viele Medikamente aus Kostengründen nur mehr in China produziert werden. Arbeitskosten sind eben nur ein Teil der Kosten eines Produkts.

Die grenzenlose Inszenierung

Es ist jetzt ganz sicher nicht die Zeit für die Fotoshows der Regierung. Die künstliche Stilisierung von Sebastian Kurz wirkt schon gefährlich. Und zwar, weil sie symbolisch dafür steht, dass der junge Mann nicht annähernd den Ernst der Lage erkannt hat. Weder gesellschaftspolitisch noch ökonomisch. Diese Inszenierungen im Krisenstab, wo posierende Politiker nur stören können, und das Kreisky Zimmer als hell erleuchtetes Fotostudio zeigen den Missbrauch einer echten Krise für falsche Bilder. Sie sollen die Illusion erzeugen, dass ein umsichtiger Mann eine Megakrise mit unermüdlicher Kraft lösen kann, wenn man ihn nur lässt. Allein das vorzutäuschen ist verantwortungslos, hoffnungslos sowieso.

Lernen aus der Krise

Im Idealfall lernen wir aus der Krise: Solche Ereignisse sind nur gemeinsam zu bewältigen, für uns im Rahmen der Europäischen Union. So banal es klingt: Viren kennen keine Grenzen, dasselbe würde für Energieknappheit oder andere große Krisen gelten. Eifersüchteleien zwischen Behörden des Bundes und der Länder sind immer fehl am Platz, im Moment ganz besonders.

Auf nationaler Ebene ist Zusammenhalt gefragt. Der Präsident der Wirtschaftskammer hat sich in seiner Opernball Loge blamiert. Jetzt soll er zeigen, ob er Sozialpartnerschaft im besten Sinn kann. Wenn die Rezession kommt, werden wir wieder Kurzarbeit bekommen, das hat die Regierung nach der Weltwirtschaftskrise 2008 gemeinsam mit den Sozialpartnern gar nicht so schlecht hingekriegt. In Deutschland wird bereits über Kurzarbeit gesprochen. Und darüber, dass die Wirtschaft gestützt werden müsse, nicht die schwarze Null im Budget. Da wird der Kanzler auch mit der Opposition reden müssen. Bundespräsident Alexander van der Bellen hat es ihm schon während der Regierungskrise gesagt: Es muss immer eine anständige Gesprächsbasis geben.

Das wortarme Parlament

Apropos Gespräche: Die gehören schon im Wortsinn in das Parlament. Dieses hat sich in dieser Woche wieder von der müden, fast resignativen Seite gezeigt. Da standen einige Punkte auf der Tagesordnung, die sich eine fruchtbare Auseinandersetzung verdient hätten: Gewalt gegen Frauen, Fragen der Pensionsversicherung, die Europäische Bürgerinitiative, der Green Deal, Themen der Arbeiterkammer, eine gemeinsame Resolution gegen Antisemitismus und noch viel mehr. Das alles musste in etwas mehr als neun Stunden durchgepeitscht werden, vor ermüdenden Kolleg_innen, soweit anwesend. Die Mehrheit im Hohen Haus wolle, dass die Abgeordneten nur einmal in vielen Monaten, und dann nur einen Tag zusammenkommen. Wirklich? Oder wollen die Regierungsparteien einfach nur Ruhe. Die Grünen gaben sich einst als leidenschaftliche Parlamentarier_innen. Früher...heute sei angeblich im Wahlkreis so viel zu tun. Die Wählerinnen und Wähler in den Bezirken sollten ihre Abgeordneten einmal fragen, warum sie sich nie in Wien gemeinsam beraten. Ein Gesetzgeber, der sich nie trifft, ein trauriges Bild.

Wer die Institutionen zerstört...

Ein Gesprächspartner hat mir am Montag in Budapest gesagt, wir müssen besonders auf unsere demokratischen Institutionen aufpassen, da kommt das Parlament wohl an erster Stelle. „Illiberale Demokraten“ wie Viktor Orban tun genau das: Die Institutionen des Rechtsstaates und der Demokratie herunter machen und langfristig zerstören: Parlament, Justiz, Medien. Orban ist damit leider schon sehr weit gekommen, hat mit Katalin Cseh erzählt, eine junge und trotz allem sehr optimistische liberale EU-Abgeordnete. Sie und ihre Momentum Bewegung suchen in den Städten und Kommunen Unterstützung, und sie sind dort erfolgreich, wo die Opposition zusammenfindet. Die Medienlandschaft ist zum Großteil in Orbans Hand, pardon: in der Hand einer Stiftung, die zufällig Orban ganz wunderbar findet. „Ein Mediensystem wie in Ungarn“, das war der Ibiza-Wachtraum von Heinz Christian Strache. Das würde freilich nicht nur Strache gefallen. Wer die Institutionen der Demokratie zerstört, zerstört irgendwann einmal auch die Demokratie.

Antisemitismus – gestern und heute

BDS – so nennt sich eine Organisation, die das Existenzrecht des Staates Israel in Abrede stellt. Das tut etwa auch der Iran - sonderbar ist, dass bei BDS auch (kleine) jüdische Gruppen mitmachen, die angeblich für einen Frieden in Nahost eintreten. BDS - die Buchstaben stehen für Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen. Der österreichische Nationalrat hat die Aktivitäten von BDS zum Anlass genommen, sich mit Antisemitismus zu beschäftigen. Alle fünf Parteien haben gemeinsam einen Antrag beschlossen.

Ich habe zu meiner Rede die Memoiren von Leon Zelman mitgebracht. Leon Zelman ist in einem polnischen Stetl zur Welt gekommen, hat das Ghetto Lodz, Auschwitz und Ebensee überlebt, seine Eltern und seinen Bruder haben die Nazis ermordet. Seine große Leistung war, der er mit einem Reisebüro viele Österreicher nach Israel gebracht hat, vor allem aber, dass er mit dem Jewish Welcome Service sehr viele Überlebende bewegt hat, in das Land zu kommen, das sie vertrieben hat.

Leon hat mir immer wieder von seinen Ängsten erzählt: „Weißt du, sie werden wieder einmal auf eine Gruppe von Menschen losgehen, das werden in Österreich wohl nicht mehr wir Juden sein, dafür sind wir zu wenige. Sie werden sich andere Sündenböcke suchen.“ Zelman, geboren 1928 in einem polnischen Stetl ist 2007 gestorben. Er hat Jörg Haiders Kampagnen gegen Ausländer erlebt, und er hat darunter gelitten. Sein Buch „Ein Leben nach dem Überleben“ ist 2005 erschienen und sehr lesenswert. Vorsicht: Es gibt einige Seiten, wo einem die Tränen kommen. Es ist immer wieder unfassbar, was Menschen Menschen antun können.

Syrien – neue Flüchtlinge

Und da müssen wir in diesen Tagen leider wieder nach Syrien schauen. Assad will den Rest seines Landes zurück erobern und bombardiert in Idlib auch zivile Einrichtungen wie Schulen und Krankenhäuser, die Russen unterstützen ihn dabei und Erdogan will Regionalmacht, und wieder sind Hunderttausende, vielleicht gar eine Million Menschen auf der Flucht. Erdogan will diese Lage für mehr Milliarden aus der EU nützen und droht, die Grenzen zu öffnen. Die Flüchtlinge sind wieder nur Spielball der Politik. Gleichzeitig diskutieren die Spitzen der europäischen Politik über „Stellen hinter dem Komma“, also über ein paar hundert Millionen für das kommende EU-Budget. Ich habe noch keinen konkreten Vorschlag aus einer Staatskanzlei gehört, wie wir das Leid lindern können. Europa wird nur ein Kontinent der Freiheit und der Menschenrechte bleiben, wenn wir diese Werte leben. Warten wir, wer die oder der Erste der EU-Granden sein wird, der dazu etwas zu sagen hat.

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