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Ausblick 2020

Letztendlich liegt es an uns, was wir aus unserer Zukunft machen

Das neue Jahr bringt uns endlich eine neue Regierung – und noch so einiges mehr, doch dazu gleich später.

Die angeblich „neue ÖVP“

„Habemus regnum“, wir haben also eine neue Regierung, daran wird auch der grüne Bundeskongress nicht mehr rütteln. Dort wird zwar freilich noch heftig über Details des Regierungsprogramms diskutiert werden, und warum die Türkisen eine Bundesministerin für Integration bekommen, nicht die Grünen. Aber Werner Kogler wird die Lage unter Kontrolle halten. Vorerst jedenfalls.

Doch zuerst noch einmal zur ÖVP, pardon, zur „neuen ÖVP“, wie es inzwischen auch schon der Grünen-Chef linientreu formuliert. Wenn man genau hinsieht, dann erinnert Vieles in dieser Partei an ganz alte Zeiten. Der Postenschacher etwa, als bei den Casinos Einigkeit darüber herrschte, dass der Bezirkspolitiker Peter Sidlo zwar kein geeigneter Finanzvorstand ist, dessen Chefin aber seinen Job ohnehin nebenbei machen könne. Wie in den 1950er-Jahren, als im Staatsdienst nach Proporz bestellt wurde, aber immer auch darauf geachtet wurde, dass in der 2. Reihe die notwendigen Fachleute zur Verfügung standen, wenn die parteitreuen Kandidat_innen nicht die besten waren.

Sebastian Kurz ist auch nicht der unumschränkte türkise Herrscher, als den ihn sein Propaganda-Apparat gerne darstellt. Er achtet genau darauf, die Machtzentren dieser gar nicht so neuen ÖVP zu stabilisieren. So musste auch der niederösterreichische Bauernbund in die Regierung, dessen Direktorin Klaudia Tanner soll nun gar Verteidigungsministerin werden. In dieses Amt kamen auch schon andere Politiker ohne jegliche Fachkenntnis. Im Jahr 1961 etwa musste unbedingt noch ein Bauernbündler in die ÖVP-Mannschaft, und weil das Verteidigungsministerium frei war, wurde dort einfach der Kärntner Karl Schleinzer positioniert. Drei Jahre später wurde dieser dann Landwirtschaftsminister und das Bundesheer an den niederösterreichischen AAB in Person von Georg Prader weitergereicht. Regionale Ausgewogenheit musste bei der alten wie bei der neuen ÖVP aussehen: Die in Polit- wie Unternehmerkreisen weitgehend unbekannte Christine Aschbacher soll Arbeitsministerin werden. Dass die Steierin keine politische Erfahrung hat, passt bestens ins Bild, so hat es Sebastian Kurz am liebsten.

Dass Susanne Raab aus Oberösterreich kommt, hat bei ihrer Besetzung sicher auch nicht geschadet. Bundesministerin für Integration wird die Sektionsleiterin allerdings, weil sie bisher in diesem Bereich gearbeitet hat. Hefiger diskutiert wird wohl noch der Umstand, dass sich die Grünen das Integrationsressort wegnehmen haben lassen.

Kein Respekt für freie Medien

Das größere Problem der Grünen wird aber sein, dass sie in ihren Ministerien keine Machtbasen haben, weil Türkise und Blaue eine ebenso konsequente wie missbräuchliche Personalpolitik in den Kabinetten und bei Spitzenposition betrieben, wie es sie noch nie gegeben hat. Sie erinnern sich – es lief unter dem Motto „neu regieren“. Wobei nun auch Schwarze klagen, dass sie nicht zum Zug gekommen sind, weil sie nicht zu den Türkisen der „neuen ÖVP“ gehören. Personalbesetzungen wurden auch noch von der Regierung Bierlein betrieben, so hat Bildungsministerin Rauskala noch schnell den früheren Generalsekretär Netzer als Sektionsleiter installiert, und eine entsprechende parlamentarische Anfrage meinerseits unrichtig beantwortet.

Das wird eine Schlüsselfrage für die Grünen: Werden sie in der Regierung ihren Grundsätzen treu bleiben, das Parlament zu stärken und das Amtsgeheimnis gegen Informationsfreiheit einzutauschen? Oder wird das Parlament weiter als Abnickmaschine missbraucht? NEOS werden da jedenfalls dranbleiben, weil es hier um Grundfragen der Demokratie geht, die weit über eine Regierungsbildung hinausgehen. Das gilt auch für die Medienfreiheit. Ich habe selbst erlebt, wie konsequent ungeniert Sebastian Kurz und seine PR-Maschinerie mit Presse und Journalist_innen umgingen und umgehen. Wer nicht gekauft werden konnte oder sich sonst irgendwie unterwarf, musste schauen, wie er journalistisch überlebte. Da gab es dann auch in der vermeintlichen Wirtschaftspartei ÖVP keinen Respekt mehr vor fremdem Medien-Eigentum. Auch hier kann man nur auf die Grünen hoffen: Die hierzulande alltäglich gewordene Inseratenkorruption muss endlich durch eine qualitative Medienförderung ersetzt werden.

Diese Hoffnung wird durch die Meldung zunichte gemacht, dass ausgerechnet Gerald Fleischmann, der Pressesprecher(!) von Kurz, Beauftragter für Medienfragen werden soll. Das klingt wie eine gefährliche Drohung für jeden, der dessen Umgang mit Journalist_innen kennt, die sich gegen seine Interventionen wehren. Es ist erstaunlich, denn hier unterschätzen die Grünen die Brutalität, mit der die PR-Truppe von Kurz agiert. Sie – und auch der ÖVP-Chef selbst – sehen Journalismus und Medien ausschließlich als Mittel zum eigenen Zweck: Die akribisch konstruierte Agenda muss verbreitet werden, Kontrolle durch die Öffentlichkeit lehnen Leute wie Fleischmann ab. Da kennen sie nur Freund oder Feind. Wer brav schreibt, bekommt Inseratengeld und Informationen, doch wer etwas kritisiert, ist ein Feind – und wird demnach bekämpft. So einfach lautet Fleischmanns Arbeitsauftrag. Dass er auch noch gleichzeitig ÖVP-Pressesprecher und Medienbeauftragter der Regierung sein soll, erinnert wieder einmal sehr stark an die ungarischen Verhältnisse, die Strache in Ibiza so hoch lobte.

Postenschacher 

Und selbstverständlich werden wir der neuen Regierung bei den Postenbesetzungen auf die Finger schauen. Dass die ÖVP keinen Genierer hat, hat sie zuletzt bei der Besetzung der kaufmännischen Direktion der Wiener Staatsoper bewiesen. Der Untersuchungsausschuss des Nationalrats wird hier noch einiges Schmutziges aus der türkis-blauen Zeit ans Tageslicht bringen. Aber ob damit ähnliche Formen des Machtmissbrauchs in Zukunft eingeschränkt werden? Hoffentlich. Wir werden sehen.

Die Zukunftsthemen

Wichtig beim noch nicht bekannten Regierungsprogramm werden die zentralen Zukunftsthemen sein: Bildung, Standort, Steuern, Klima, Innovationen und Pensionen. Wobei hier thematisch alles mit allem verwoben ist. Wenn wir weiter jung gebliebene 60-Jährige oder noch Jüngere in Pension schicken, wie das offenbar bei der neuen Gesundheitskasse geplant ist, wird das Geld für Bildung und Innovation fehlen. Wenn wir CO2-Ausstoß und Umweltbelastung nicht entsprechend besteuern, werden wir den klimaschädlichen Ausstoß nicht reduzieren. Und wenn wir nicht schleunigst mehr Geld in Forschung und Entwicklung investieren, werden wir als Wirtschaftsstandort uninteressant.

Die brutale Message Control von Kurz und Kickl wird es bei Kurz und Kogler wohl nicht geben, doch die ÖVP-Propagandaleute werden die Grünen regelmäßig daran erinnern, dass die Bevölkerung ja keinen Streit innerhalb der Regierung sehen will. Das wird schon auch helfen. Am Anfang zumindest.

Die Wien-Wahl

Im Herbst wählen die Wiener_innen einen neuen Gemeinderat und Landtag. Türkise Träume handeln von einer Mehrheit mit Grünen und NEOS, um die SPÖ in ihrer letzten Machtbasis in die Opposition und bundesweit in die Bedeutungslosigkeit zu schicken. Ein Regierungswechsel in der Stadt, die die SPÖ gerne wie ihr Eigentum behandelt, das hätte schon etwas. Aber realistisch ist das vorerst nicht. Die Wiener Grünen – das linke Lager in der Partei – werden wohl eher auf Distanz zur ÖVP gehen – und ein Gernot Blümel als populärer Stimmen- und Menschenfänger, das übersteigt dann doch jede Fantasie.

Europa vor großen Fragen

Während Österreich sich ein „Ibiza-Jahr“ geleistet hat, hat sich die Welt flott weiter gedreht. Die neue EU-Kommission hat sich viel vorgenommen, aber Ursula von der Leyen muss es erst gelingen, die wahren Machtzentren der Union – also die nationalen Regierungschefs – davon zu überzeugen, dass mehr Gemeinsames notwendig ist – bei den Außengrenzen, der Asylpolitik, dem Klima und der Innovation. Zudem müssen EU-Länder aufmerksamer auf den Balkan schauen, oder sagen wir besser nach Südosteuropa. Länder von Montenegro bis Nord-Mazedonien brauchen die EU und wir brauchen Frieden und Wohlstand in dieser Region. Die Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Nord-Mazedonien zu verzögern war ein schwerwiegender Fehler Emmanuel Macrons, der unbedingt wieder ausgebessert werden muss.

Und: 2020 werden Flüchtlinge die EU weiter „spalten“. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn will nun Ländern, die keine aufnehmen, das Geld aus Brüssel kürzen. Diese Idee wurde bereits vom Europäischen Parlament aufgegriffen. Doch es ist eine gefährliche Entwicklung, denn Populisten wie Orban werden diese Forderung für nationalistische Kampagnen zu nützen wissen.

Salvinis Comeback?

Und da wäre natürlich noch Matteo Salvini. Er hat ja im politischen Poker sein Blatt überreizt und statt Neuwahlen sein Amt als italienischer Innenminister verloren. Aber Salvini macht jetzt, was er schon vorher gemacht hattte: Er tourt durch Italien und durch die sozialen Medien, und treibt vor allem in der Emilia-Romagna Wahlkampf, wo Ende Jänner Regionalwahlen stattfinden. Sollte Salvinis Lega Nord in der traditionell linken Region gewinnen, ist die Regierung in Rom massiv gefährdet. Ein Buchtipp: Lorenz Gallmetzer – „Von Mussolini bis Salvini.“

Brexit – wohin?

Auch Großbritannien wird weiter Unruhe in die EU ausstrahlen. Nach dem Brexit ist nämlich vor dem Handelsabkommen. Bis Herbst wird das nicht zu schaffen sein. Wir werden sehen, ob Boris Johnson bis dahin ein wenig Ratio in seinen Kopf bekommt.

Trumps Wiederwahl

Vernunft ist von Donald Trump weiterhin nicht zu erwarten. Er wird sein eigenes Impeachment aber emotional besser nutzen als die zerstrittenen Demokraten. Nach heutigem Stand ist seine Wiederwahl leider wahrscheinlich. Trump wird mit China Handelsabkommen schließen, die an den Börsen gut ankommen werden. Dass die Chinesen in Europa, vor allem am Balkan und in Afrika weiter ökonomisch expansiv auftreten werden, stört den Amerikaner nicht. Wir Europäer müssen uns daher auch hier etwas einfallen lassen. Alles in allem: Es wird ein entscheidendes Jahr für Europa, und Österreich sollte nach „Ibiza“ wieder aktiv teilhaben.

30 Jahre nach dem Fall der Mauer müssen wir uns damit beschäftigen, warum Völker in Osteuropa, die die Demokratie erkämpft haben, diese wieder einschränken. An dieser Stelle noch ein letzter Buchtipp zur politischen Lage aus historischer Sicht: Ivan Krastev – „Das Licht, das erlosch.“

Letztendlich liegt es an uns, was wir aus unserer Zukunft machen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen guten Rutsch und alles erdenklich Gute für 2020. 

Helmut Brandstätter

 

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