Herbert Kickl nutzt jede Gelegenheit, unser politisches System in Frage zu stellen. Klar, er will ein ganz anderes, ein autoritäres nach dem Vorbild von Jörg Haiders 3. Republik. Seine Kritik an Artikel 70 Bundesverfassungsgesetz, wonach der Bundespräsident die Minister ernennt, hat natürlich einen persönlichen Grund. Kickl will wieder Minister werden, Alexander Van der Bellen wird ihn aber sicher nicht mehr ernennen, selbst wenn die FPÖ wieder in die nächste Bundesregierung kommen sollte. Nach der jüngsten Liederbuchaffäre ist das noch unwahrscheinlicher geworden. Denn die Öffentlichkeit hat da erfahren, welche Typen im Nationalrat sitzen.
Etwa ein Wolfgang Zanger, der in einem ORF-Interview meinte: „Natürlich hat es auch gute Seiten am Nationalsozialismus gegeben“ ist bei der diesbezüglichen Burschenschaft. Eine Aufforderung zum Rücktritt ist ebenso nötig wie sinnlos. Denn wer Gutes am Nationalsozialismus findet, mag auch antisemitische Lieder. Ich habe jedenfalls beschlossen, das Plenum im Nationalrat zu verlassen, sollte Zanger ans Rednerpult gehen.
Tyrannische Neigungen
Angriffe auf die parlamentarische Demokratie gibt es aber nicht nur von rechts. Wer Carola Rackete in der Zib2 gesehen hat, weiß, dass auch Linke gefährlich werden können. Mit harmloser Mine und ruhigen Worten wünschte sie sich ein politisches System, wo nur diejenigen bestimmen sollen, die die Wahrheit erkannt haben. Was mich an Hannah Arendts Zitat erinnert hat, das ich in meiner ersten Parlamentsrede aufgegriffen habe. Sie spricht von „Tyrannische Neigungen professioneller Wahrheitssager.“ Rackete hat Menschen vor dem Ertrinken gerettet, was sie auszeichnet, sie schrieb ein Buch, was immer gut ist. Aber ihre Vorstellungen von Strafrechtsbestimmungen für „Ökozid“ rütteln schon am Rechtsstaat. Wie sähe so ein Tatbestand im Strafrecht aus? Und soll der rückwirkend gelten? Wo bliebe da der Rechtsstaat?
Rackete will Bürgerversammlungen, wo Bürger_innen selbst mitbestimmen dürfen. Gut, aber glaubt sie wirklich, dass die Mehrheit in einem Land gegen jedes Wirtschaftswachstum stimmen würde? Und die Planwirtschaft, von der sie träumt, ist schon einmal krachend gescheitert.
So sehr die Länder Afrikas unter dem Kolonialismus gelitten haben, so sehr leiden sie heute auch unter der Korruption der dortigen Führungen. Und an problematischen Handelsverträgen, auch mit der EU. Wir müssen evidenzbasiert an die Herausforderungen herangehen. Die beste Maßnahme zur Reduktion des Bevölkerungswachstums ist die Ausbildung der Frauen. Denn gebildete Frauen bekommen überall deutlich weniger Kinder.
Sicherlich: In den Industriestaaten müssen wir den CO2 Ausstoß schnell und massiv reduzieren. Da werden Anreize und Steuern mehr helfen als Verbote. In der Tat bedroht die Klimakrise das Leben auf unserem Planeten. Öko-Diktaturen würden aber Demokratie und Klima zerstören.
Besonders klug argumentierte Armin Nassehi in der Ausgabe der ZEIT in der Vorwoche. Der Professor für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München beschreibt, warum es für eine moderne Gesellschaft so schwierig ist, die Klimakrise zu bekämpfen. Zitat aus dem lesenswerten Artikel: „Man muss es leider sagen: Nicht bloß die natürlichen Kapazitäten der Erde sind knapp und nur begrenzt belastbar. Auch die Kapazitäten der Gesellschaft, ihre Fähigkeiten zur Reaktion auf Störungen und Herausforderungen sind es. Wer über ökologische Knappheiten redet, muss auch über Knappheiten sozialer Mechanismen sprechen - nicht um das Klimaproblem klein zu reden, im Gegenteil, um seine Brisanz überhaupt auf den Begriff bringen zu können.“ Und weiter: „Es gibt kein Handeln der Gesellschaft aus einem Guss. So sehr man das beklagt, so sehr ist das vielleicht die zivilisatorische Errungenschaft schlechthin.“ Diktaturen und totalitäre Systeme können „aus einem Guss“ handeln. Liberale Demokratien können das nicht. Denn wir müssen - oder dürfen - miteinander um sinnvolle Lösungen streiten.
Aus Sondierungen werden Verhandlungen
A propos Klima: Zwischen Türkis und Grün hat sich dieses auf normale Betriebstemperatur, begleitet von freundlichen Nasenlöchern eingependelt. Kurz und Kogler verhandeln über eine Koalition, auch wenn sie diese Verhandlungen noch nicht so nennen wollen. Aber die Zeit des Sondierens wird zu Ende gehen, dann wird es ernst. Die Differenzen sind noch sehr groß, doch auf beiden Seiten ist der Wille zur Macht im Moment jedenfalls größer. Da werden auch kritische Stellungnahmen von jungen Grünen nicht stören. Kurz und Kogler wissen, dass die Erwartungshaltung bereits hoch ist und noch viel höher werden wird. Spannend wird, ob die Truppe um Kurz die öffentliche Meinung beherrschen wird, versuchen wird sie es, aber auch die Grünen haben ihre Spin-Doktoren.
Johnson wird unsicher
Die Briten werden am 12. Dezember also ein neues Unterhaus wählen. Boris Johnson ist offenbar nicht so siegessicher, wie er sich gibt. Er wollte mit dem Brexit- Politiker Nigel Farage einen Deal machen, wonach dieser in Wahlkreisen, wo die Tories traditionell stark sind, nicht antreten sollte. Farage war dazu aber nur bereit, wenn Johnson sich zu einem No-Deal-Brexit bereit erklärt hätte. Aber Johnson merkt, dass immer mehr Konservative in Richtung der liberalen LibDems abbiegen, die als einzige gegen den Brexit auftreten. Der ehemalige Tory Abgeordnete Matthew Parris, der nach der Politik ein bekannter Journalist und Autor wurde, begründete gestern in der Times, warum er die Liberalen wählen werde. Den Briten steht ein heftiger Wahlkampf ins Haus. Dass sich Donald Trump einmischt, passt ins Bild. Er will Europa um jeden Preis schaden, also empfahl er in der Radioshow von Nigel Farage, dieser solle sich mit Johnson zusammen tun. Und wenn die Briten mit der EU ein Handelsabkommen abschließen, dann will er keines mehr. Auch Italien und anderen EU Mitgliedern hat Trump den Austritt nahe gelegt. Weltpolitik im Narrenkostüm.
Ihr Helmut Brandstätter