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Tage des Erinnerns

Vor 30 Jahren ist die Mauer gefallen. Natürlich wäre der 9. November ein würdiger Nationalfeiertag für das wieder-vereinte Deutschland gewesen. Aber an diesem Tag müssen wir uns auch an die Pogromnacht von 1938 erinnern. 

Tage des Erinnerns


Heute vor 30 Jahren ist die Mauer gefallen, wie es sehr bald im allgemeinen Sprachgebrauch heißen sollte. Gefallen ist freilich nichts, der Abend des 9. November 1989 war der erste Erfolg einer deutschen Revolution. Die preußisch-sächsischen Kommunisten unter dem Saarländer Erich Honecker waren einfach am Ende. Spätestens die unverschämten Fälschungen der DDR Führung bei den Kommunalwahlen vom 7. Mai 1989 zeigten die Schwäche des Regimes, die das eigene Volk nicht einmal mehr richtig betrügen konnte. Für seine Versorgung konnten die Kommunisten ja schon lange nicht sorgen. Und viele Bürger der DDR hatten immer weniger Angst vor den Gerontokraten rund um den 77-jährigen Honecker. Sie protestierten immer mehr und offener, trotz der vielen Stasi-Schatten.

Unvergesslich bleibt mir eine Szene im Schneideraum des DDR Fernsehens am Abend des 7. Oktober, als Honecker mit Gorbatschow und anderen Ostbklock-Führern den 40. Geburtstag der DDR feiern wollte, viele Bürger aber lautstark demonstrierten und nach ihrem Hoffnungsträger „Gorbi“ riefen. Wir hatten diese Szenen für den ORF gefilmt, die Cutterin sichtete das Material. Ohne eine Miene zu verziehen suchte sie die stärksten Szenen und lautesten Rufe heraus.
In den folgenden Wochen war ich dann regelmäßig am Montag in Leipzig, bei den Demonstrationen, die immer größer wurden, und wo aus den Rufen „wir sind das Volk“ immer öfter „wir sind EIN Volk“ wurde.

Am 9. November flog ich dann in Helmuts Kohls Kanzlermaschine der Deutschen Luftwaffe nach Warschau zum lange vorbereiteten und wichtigen Staatsbesuch. Dazu habe ich kürzlich im Standard meine Erinnerungen zusammengefasst.

Natürlich wäre der 9. November ein würdiger Nationalfeiertag für das wiedervereinte Deutschland gewesen. Aber der 9. November muss auch an die Reichspogromnacht von 1938 erinnern, passt also doch nicht so gut. Aber auch wir Österreicher müssen die Erinnerung in Würde pflegen und Außenminister Alexander Schallenberg tat dies. Bei einem Gedenken im Jüdischen Museum Wien am Freitag gab er ein wichtiges Bekenntnis ab: „Österreich hat sich zu lange selbst ausschließlich als Opfer des Nationalsozialismus betrachtet. Zu viele standen im März 1938 am Heldenplatz und haben mitgejubelt. Zu viele haben zugeschaut und mitgemacht, als ihre Mitmenschen beraubt, vertrieben und ermordet wurden. Wir haben zu lange weggesehen, bis wir uns der Täterrolle und unserer daraus wachsenden historischen Verantwortung bewusst geworden sind. Die abscheulichen Gräueltaten und Verbrechen, die vor 81 Jahren in Deutschland und Österreich begangen wurden, machen uns bis heute zu Recht beschämt und betroffen." Doch sich der Verantwortung für Taten nur bewusst zu sein, reiche nicht aus: „Wir müssen uns auch der Verantwortung für Unterlassungen bewusst sein. Wir dürfen nicht schweigen, wenn antisemitisch motivierte Gewalttaten auf europäischem Boden begangen werden.“

Am Donnerstag haben das offizielle Österreich und viele Freunde in der Uni Wien mit Eric Kandel dessen 90. Geburtstag gefeiert. Hier ebenso spielte die Erinnerung eine große Rolle. Wenige Tage nach seinem 10. Geburtstag flüchtete die Familie Kandel aus Wien in die USA. Dort wurde Eric Kandel zum großen Wissenschaftler und Nobelpreisträger. In Wien engagierte er sich für die Umbenennung des Dr.Karl-Lueger-Rings in den Universitätsring. Antisemitismus und Wissenschaft, das verträgt sich nicht. Kandel hat viel über das Funktionieren unseres Gehirns erforscht, etwa über die Tätigkeit der Synapsen. Und er hat viele lesenswerte Bücher geschrieben, die Wissenschaft verständlich erklären. Dass er immer wieder in das Land zurückkehrt, das seine Familie vertrieben hat, ehrt uns, sagte Bundespräsident Alexander van der Bellen beim Festakt.

In Ö1 sind zuletzt allzu sehr die angeblich positiven Seiten der DDR hervor gehoben worden. Da kann man nur feststellen: Ein Land, das seine Leute einsperrt oder erschiesst, sobald diese flüchten wollen, kann niemals ein legitimer Staat sein. Die Führung der DDR hat nicht nur kritische Bürger verfolgt, sondern das Leben vieler Menschen zerstört, die nicht nach der Ideologie der Kommunisten leben wollten. Es gab nichts Gutes im angeblichen Staat der Arbeiter und Bauern. Nicht einmal das Leben der Bonzen war frei von Angst, jeder hat jeden bespitzelt. Natürlich entstanden tiefe Freundschaften zwischen den Unterdrückten, die einander beim Überleben halfen, aber Freundschaften entstehen auch in der Freiheit.

Natürlich ist auch die Demokratie nicht frei von Irrwegen und Misswirtschaft. Dass die Sicherung der Pensionen langfristige Planungen erfordert, ist ja klar. Also wurde schon vor Jahren eine sogenannte Pensiossicherungskommission erfunden. Freilich: Auf die Führung konnte man sich nicht einigen. Nach zwei Jahren wurde endlich Walter Pöltner zum Chef dieser Pensionssicherungs-kommission ernannt. Der ehemalige SPÖ Sektionsschef sieht diese Aufgabe offenbar nicht als Suche nach neuen Freunden. Die Abschlagsfreie Frühpension sei unverantwortlich und arbeitnehmerfeindlich, richtete er allen Parteien aus, die da zugestimmt haben, also auch der SPÖ. NEOS, die vor dieser Form von Populismus gewarnt haben, taten dies also nicht als Ausdruck sozialer Kälte, sondern großer Verantwortung.

Die Regierungsverhandlungen zwischen ÖVP und Grünen laufen seit Wochen, seit Montag dürfen sie auch so heißen. Der grüne Bundesvorstand beschloss das am Sonntag, Sebastian Kurz muss niemanden fragen und wird dann versuchen, die vielen Unterschiede zwischen ÖVP und Grünen mit wolkigen Worten und intensiven Inszenierungen zu überspielen. Die Grünen beschweren sich bereits, dass die ÖVP das Schweigegelübde gegenüber wohl gesonnenen Journalisten nicht so ernst nimmt. Dazu werden sie noch öfter Anlass haben.
 

Ihr Helmut Brandstätter

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