Europa verändert sich schnell und auf vielen Ebenen

Die Ukraine und die Republik Moldau bekommen den EU-Kandidatenstatus. Das haben die 27 Staats - und Regierungschef_innen Donnerstagabend beschlossen. Zu diesem Zeitpunkt war gerade eine Delegation des österreichischen Parlaments in der Hauptstadt Chisinau, bei einem Empfang der Botschaft anlässlich 30 Jahre diplomatische Beziehungen Österreich-Moldau. Als Obmann der parlamentarischen Freundschaftsgruppe mit der Republik Moldau habe ich diese Delegation geleitet, Harald Troch von der SPÖ und Hubert Fuchs von der FPÖ haben mich als Abgeordnete begleitet. Und vor allem: Diese Reise wurde nur deshalb so interessant, weil Botschafterin Stella Avalone ein ebenso anspruchsvolles wie vielseitiges Programm organisiert hat. Dass Österreich hier einen so guten Ruf hat, verdanken wir der Botschafterin und ihrem kleinen, aber sehr engagierten Team.

Die Heimat- so nah und so fern
 
Immer, wenn der Krieg Gesichter bekommt, wenn Geschichten erzählt werden, dann tut es besonders weh. Wir sitzen in einem Haus der österreichischen Sozialorganisation Concordia in Chisinau, zwei Familien mit ihren Betreuerinnen sprechen mit uns über ihre Erfahrungen. Die Familien kommen aus Mykolayiv, etwas mehr als 2 Stunden nordöstlich der Hafenstadt Odessa. Nach Odessa ist es von hier rund 3 Stunden im Auto. Die Großmutter beginnt gleich zu weinen, als sie von ihrem Sohn erzählt, der im Krieg gegen die russischen Invasoren kämpft. Die jährige Slata klammert sich an ihre Mutter. Kann sie verstehen, was bei ihr zu Hause los ist? Die Mutter erzählt uns, dass Slata zu Beginn in Chisinau am Abend sagte: „Dreh das Licht ab, dann sehen uns die Bomben nicht.“ Slata kann hier in den Kindergarten gehen, ihr 9-jähriger Bruder besucht eine Schule. Die Ukrainer sprechen russisch, die meisten Moldauer ebenfalls. So verbindet sie die Sprache des Feindes, nur eine von vielen Absurditäten dieser Zeit. Concordia wurde schon bald nach dem Zerfall der Sowjetunion in dem neu entstandenen Staat Moldau aktiv, ebenso im benachbarten Rumänien. Zunächst kümmerte man sich um die vielen Straßenkinder, die zuvor in staatlichen Einrichtungen gelebt hatten, dann um Waisenkinder. Jetzt sind viele Flüchtlinge da, aber Concordia kümmert sich auch junge Menschen, die eine Ausbildung brauchen und niemanden haben, der für sie sorgt. In der Republik Moldau sind aber noch viele andere NGOs tätig, die Caritas, Fides, auch eine Einrichtung der katholischen Kirche, die Diakonie und Organisationen der orthodoxen Kirche. Viele Vertriebene sind in Wohnungen untergebracht, das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, UNHCR, unterstützt mit etwa 120 Euro pro Monat und pro Person.
Viele Vertriebene leben noch näher an der Grenze, etwa in Tudora unweit des Übergangs Palanka. Hier herrschte in den Tagen nach dem 24. Februar Chaos, aber inzwischen hat die Grenzpolizei alles im Griff, die UNHCR sorgt für Registrierung und Verteilung. Die österreichische Bundesregierung hat angeboten, 2000 Flüchtlinge nach Österreich zu holen, bisher wollten aber nur rund 500 kommen, weil sie eben nahe bei ihrer Heimat bleiben wollen. Es wäre also sinnvoll, die Unterstützung in Moldau zu verstärken. In dem kleinen, armen Land sind rund ebenso viele Vertriebene wie in Österreich, etwa 70.000 Menschen.

 

Moldau- ein Land im Aufbruch

Die 50-jährige Maia Sandu ist seit dem 24. Dezember 2020 Staatspräsidentin der Republik Moldau. Ihrem Wahlerfolg waren vier harte Jahre vorausgegangen, wie sie der Delegation aus Österreich sehr ruhig erzählt. Nach einem Studium im Ausland und einer erfolgreichen Karriere als Ökonomin bei der Weltbank hat sie sich entschlossen, in ihre Heimat zurückzukehren und hier gegen wirtschaftlichen Stillstand und die grassierende Korruption zu kämpfen. Vier Jahre lang lebte sie von ihren Ersparnissen, gleichzeitig wurde sie von staatlichen Stellen beobachtet, weil man offenbar Angst vor dieser starken Frau hatte. In unserem Gespräch spielt der Beitritt zur Europäischen Union natürlich eine große Rolle, obwohl wir am Mittwoch noch keine Entscheidung hatten. Aber Präsidentin Sandu betonte, dass der Kandidatenstatus alle ihre Reformprojekte unterstützen würde. Die Bevölkerung werde verstehen, dass der Kampf gegen die Korruption Voraussetzung für weitere Schritte Richtung EU sein müsse. Besonders wichtig ist Frau Sandu die bessere Ausbildung im Land sowie mehr Chancen auf interessante Arbeitsplätze. Das Hauptproblem ist die stetige Abwanderung von gut ausgebildeten jungen Leuten, rund 16 Prozent des BIP kommen von Auslandsüberweisungen Ausgewanderter. Wenn die Beitrittsverhandlungen mit der EU beginnen, wird die Republik Moldau noch viel Expertise brauchen, warum nicht auch durch pensionierte Diplomat_innen aus Österreich? Immerhin: Moldau hat bei internationalen Rankings im Bereich Rechtsstaatlichkeit zuletzt einen großen Sprung nach vorne gemacht.

 

Armes Land- viele Chancen
 

Aber noch warten viele Wirtschaftsreformen auf Umsetzung. Es gibt in Moldau 7 Sonderwirtschaftszonen, wo ausländische Unternehmen mit guter Infrastruktur und niedrigen Steuern angelockt werden. 15 Prozent der Exporte kommen aus diesen Zonen. Wir haben die Stadt Balti besucht - richtige Aussprache Belz - wo das Poysdorfer Unternehmen Gebauer und Griller rund 1000 Menschen beschäftigt, die Kabel und Kabelbäume für die Autoindustrie fertigen. Nur so nebenbei: Poysdorf ist ein Weinort und beim Wein ist Moldau inzwischen international konkurrenzfähig, davon haben wir uns auch überzeugt. Auch beim Kabelproduzenten haben wir gehört, dass es an guter Ausbildung mangelt, das duale Bildungssystem in Schule und Betrieb gilt als Vorbild. Österreich ist der 7. größte Investor in der Republik Moldau. Aber natürlich sind Investitionen im Moment etwas schwieriger, alle warten auf das Ende des Krieges.
Landwirtschaft spielt hier eine besondere Rolle, und auch eine begünstigte. 80 Prozent des Bodens besteht aus schwarzer Erde, wertvoll und fruchtbar. Das Forschungsinstitut Selectia beschäftigt sich mit der Züchtung verschiedener Formen von Getreide, ohne diese gentechnisch zu verändern. Dabei stellen sich die Züchter auf den Klimawandel ein, Pflanzen werden bei höheren Temperaturen mit weniger Wasser auskommen müssen.

 

Sichere Region- sicheres Europa
 

Innenministerin Ana Revenco hat uns auf beeindruckende Weise erklärt, dass Putins Krieg nicht nur die Ukraine bedroht. Denn im Strom der Vertriebenen kommen nicht nur Schutzsuchende, Kriege sind immer auch Zeiten der Konjunktur für Verbrechen. Die Innenministerin sagt, dass Sicherheit wie Gesundheit ist, je früher man die Krankheit entdeckt, umso besser die Chance auf Heilung. So wie im Bosnienkrieg sind im Moment vor allem Waffenhändler unterwegs, auch Drogenhändler suchen das schnelle Geschäft, die Ukraine ist der größte Produzent synthetischer Drogen. Auch Menschenhandel wird beobachtet. Da braucht Moldau wohl noch mehr Unterstützung durch die EU, weil wir ja davon betroffen sind.

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