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Das Gebäude ist erneuert, jetzt bitte die Demokratie

Wenn Sie diese Zeilen lesen, bin ich bereits im Parlament. Im richtigen, im „Haus am Ring“, wie es immer hieß. Denn nach der langen Zeit der Renovierung und der Eröffnung am Donnerstag zeigt sich der Prachtbau heute und morgen beim „Tag der Offenen Tür“ als Haus des Volkes. Und für die Bevölkerung soll dann an allen weiteren Tagen gearbeitet werden.

Die Architektur- historisch und modern
 

Der Architekt Theophil Hansen, ab 1867 „Ritter von Hansen“ wurde in Dänemark geboren, hat beim großen Karl Friedrich Schinkel gelernt, wurde beeinflusst von seinem langen Aufenthalt in Athen und ist schließlich in Wien zum Meister geworden. Ein wahrer Europäer, der die Wiener Ringstraße geprägt hat, nicht nur mit dem 1883 eröffneten Parlamentsgebäude. Das Gebäude , das an einen attischen Tempel erinnert, wurde für den Reichsrat konstruiert. Dieser war ein Fortschritt, weil es ab 1861 endlich ein Parlament für den Vielvölkerstaat gab, aber das letzte Wort hatte immer noch der Kaiser. Der Reichsrat hatte auch schon zwei Kammern: das Abgeordnetenhaus und das Herrenhaus. In diesem saß die letzten Jahre vor seinem Tod 1904 auch der tschechische Komponist Antonin Dvorak, von dem wir am Donnerstag einen Walzer gehört haben.

Theophil von Hansen hätte wohl seine Freude mit der aufwändigen Restaurierung gehabt, einerseits historisch detailtreu und andererseits für die Bedürfnisse von heute ausgerichtet und dazu mit vielen Kunstwerken aufgewertet. 

Also wäre ein historisches Gebäude mit moderner Funktion doch auch ein willkommener Anlass, den Parlamentarismus, der sich in Österreich immer schwer getan hat, auch zu renovieren.
 

Die Politik-Streit und Kompromiss

Herzhafte Schilderungen von wilden Diskussionen im Reichsrat verdanken wir dem amerikanischen Schriftsteller Mark Twain (1835 - 1910), der um die Jahrhundertwende einige Zeit in Wien verbracht hat. Die Männer zogen, wenn es ganz hitzig wurde, auch schon mal ein Messer. Immer wieder trug die Polizei wild gewordene Abgeordnete aus dem „Hohen Haus.“ Zu unserer Zeit läuft alles ohne körperliche Gewalt ab, aber Zuhören, auf die Argumente anderer eingehen, den Kompromiss suchen - das gehört leider auch nicht zu unserem Parlamentarismus. Es beginnt ja schon damit, dass Sozialpartner und Ministerien alle Mittel haben, einen Gesetzesentwurf zu erstellen, aber die Mitglieder von Nationalrat und Bundesrat - also laut Verfassung die Gesetzgeber - haben diese Möglichkeiten nicht. Ganz subtil ist die Methode, Anträge der Opposition im Ausschuss zu vertagen, dann kommen sie in eine Schublade und werden nicht einmal im Plenum diskutiert. Wir haben am Donnerstag im feierlichen Rahmen viele schöne Worte über einen ernsthaften Parlamentarismus gehört. Jetzt müssten Taten folgen. Ganz konkret: Eine Kommission aus erfahrenen, auch nicht mehr aktiven Abgeordneten, die konkrete Vorschläge macht. Deren Umsetzung kostet vielleicht Geld. Aber die Renovierung war auch teuer und hat sich ausgezahlt. Bemühungen zur Wahrung unserer Demokratie dürfen sind allemal billiger als die Beschädigung des demokratischen Zusammenlebens. 


Repräsentanten und Repräsentierte

Wolfgang Schäuble, nach 50 Jahren im deutschen Bundestag eindeutig ein Rekordhalter, hielt am Donnerstag die Festrede. Wer Schäuble kennt, der wusste, dass der frühere Bundestagspräsident nicht nur feierlich reden kann, sondern auch gerne provoziert. Das tat er auch mit distanzierten Worten zum Gendern und zu manchen Umweltaktionen, worauf ihm Grüne und Teile der SPÖ den Applaus versagten. Was schade ist, denn hauptsächlich beschäftigte er sich tiefsinnig mit der Krise der repräsentativen Demokratie. Eine solche sei in vielen Staaten zu beobachten, Schäuble zitierte Umfragen aus verschiedenen europäischen Ländern, wonach eine Mehrheit für ständige Volksentscheide sei, und viele auch für eine Regierung von Fachleuten. Die repräsentative Demokratie wird nur zu wahren sein, wenn das Verhältnis zwischen den Wähler:innen und ihren Vertretern wieder besser wird, also, wenn es wieder mehr Vertrauen gibt, dass es den Repräsentanten um das Wohl der Bevölkerung geht, und nicht um ihr eigenes. Aber da stellt sich die Frage, wie die Politik überhaupt noch an die Repräsentierten heran kommt, wenn sich diese hauptsächlich in digitalen Blasen der sozialen Medien bewegen. Das wird eine Herausforderung, der sich für Parteien gemeinsam annehmen müssen. Von Gemeinsamkeit war auch bei einem Gespräch der Klubobleute viel zu hören. Aber eben bloß theoretisch. Nur Beate Meinl-Reisinger griff das Thema konkret auf, jetzt müsse eben über Initiativen zur Verbesserung des Parlamentarismus gesprochen werden. Wir werden sehen, ob die beiden Regierungsparteien dazu bereit sind.

 

Iran- nur Brutalität als Programm

Immer mehr Politiker:innen übernehmen eine Patenschaft für die Häftlinge im Iran. Die mutigen Frauen und Männer lassen sich auch trotz der unfassbaren Brutalität der Revolutionsgarden nicht einschüchtern. Und trotz der Verurteilung zum Tode wegen absurder Anklagepunkte wie „Korruption auf Erden“. Zwei Frauen wurden im Auftrag des Staates getötet, weil sie eine Liebesbeziehung führten. Eine andere Anklage lautet auf „Feindschaft gegen Gott“, wenn sich jemand kritisch über die Regierung äußert. Ich habe die Patenschaft für den Rapper Tommaj Salehi übernommen, der darüber gesungen hat, dass sich die Freiheit von Frauen gut anfühle, wenn sie ihre Haare im Wind spüren. Es ist auch kein Zufall, dass ausgerechnet das Terrorregime im Iran dem Terrorregime im Kreml Drohnen schickt, damit die Infrastruktur in der Ukraine zerstört wird und die Menschen frieren. 

Ganz grundsätzlich: Wir bewegen uns immer mehr auf eine Auseinandersetzung zwischen demokratischen Regierungen, die den Rechtsstaat achten und Diktaturen, die die Menschenrechte missachten, zu. Es geht also nicht mehr einfach um Außenpolitik, wenn wir uns mit diesen Regimen beschäftigen, sondern um Weltinnenpolitik. Das führt mich auch zum Ausgangspunkt zurück: Es gibt viel zu kritisieren am Funktionieren unserer Demokratie. Aber wir sollten wahrhaben, wie wertvoll sie für uns ist. Und wie sehr wie sie wertschätzen und pflegen müssen. Selbstverständlich ist sie nicht. Und sie ist auch nicht „voraussetzungslos“, wie Wolfgang Schäuble formulierte.

Ich werde auch heute Abend um 18.00 Uhr am Minoritenplatz sein, wo das „Bündnis für Freiheit und Demokratie im Iran“ zu einer Kundgebung einlädt und dort sprechen.

 

Führungen-bitte anmelden

Wer heute und morgen nicht ins Parlament kommen kann, ist herzlich eingeladen, demnächst zu kommen. Ich werde regelmäßig Führungen durch das Haus am Ring machen.

natalie.raidl@neos.eu

nimmt gerne Anmeldungen entgegen. Bitte mit eigener Mailadresse für jede und jeden Teilnehmer.

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