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Kurz versus Justiz


Ich hatte ja versprochen, die neue Regierung nicht von Haus aus zu kritisieren, sondern ihr etwas Zeit zu lassen, so wie es mir mein Lieblingslehrer geraten hat. Dann aber attackiert der Bundeskanzler die Korruptionsstaatsanwaltschaft, nur weil dort intensiv gegen wichtige ÖVPler untersucht wird. 

Wie soll man da ruhig bleiben?

Schon wieder Thüringen (?)

Zunächst einmal durch einen scharfen Blick zum Nachbarn. Wobei mich auch dieser nicht kalt lässt. Ich habe drei Mal in Deutschland gelebt. Von 1983 bis 1984 als ORF Korrespondent und dann von 1987 bis 1991 als Studioleiter des ORF in Bonn. Dann zwischen 1997 und 2003 als Geschäftsführer von n-tv in Berlin. Die Bonner Zeit war extrem spannend, weil wir für Reportagen ständig durch das Land gefahren sind, von Garmisch-Partenkirchen bis Kiel war ich überall. Natürlich auch in Berlin und in der DDR. So habe ich die Parteien und Bundesländer gut kennen gelernt, was mit dann bei n-tv sehr geholfen hat.

Die FDP war lange Zeit staatspolitisch so wichtig, weil sie mit oft nur etwas mehr als fünf Prozent über die Existenz von Regierungen entschieden hat, etwa 1984, als sie von Helmut Schmidts SPD zu Helmut Kohls Union wechselte. Hans Dietrich Genscher ist damals großes Risiko gefahren, einige wichtige Politiker_innen der FDP, die sich als sozialliberal verstanden, traten aus oder wechselten zur SPD. Die FDP hat diese Krise überstanden. Der Liberalismus hat ja in Deutschland eine bedeutendere Tradition als bei uns, dennoch hatte es die FDP mit ihrem Kurs - in der Wirtschaftspolitik und in Fragen des Rechtsstaats liberal - nicht immer leicht. 2009 erreichte Guido Westerwelle fast 15 Prozent der Stimmen, vier Jahre später flogen die Liberalen aus dem Bundestag, aber dann gelang 2017 der Wiedereinzug.

Die Ereignisse von Thüringen stürzen die FDP in eine große Krise. Und das liegt auch an Parteichef Lindner. Seinem Zitat von 2017 „Lieber nicht regieren als falsch regieren“ kann man ja nicht widersprechen. Aber das hätte er seinem Parteifreund aus Thüringen, Thomas Kemmerich einbläuen sollen, bevor sich dieser - auch - von der AfD zum Ministerpräsidenten wählen ließ. Auch Lindners Stellungnahme unmittelbar nach der Wahl war vielen Liberalen nicht eindeutig genug. Umso größer die Erleichterung, als Kemmerich am Tag nach der Wahl Neuwahlen ausrief.

Die Aufregung um die Wahl durch „Nazis“, wie CDU-Generalsekretär Ziemiak die AfD nannte, war berechtigt. Die AfD agiert gerade in Thüringen mit dem Rechtsextremen Björn Höcke jenseits aller demokratischen Vorstellungen. Aber die Vergleiche mit der Weimarer Republik sind dennoch unpassend. Auch wenn Hitler dort im Jahr 1930 seinen ersten großen Wahlsieg errungen hat. Es gibt keinen Adolf Hitler, der die Diktatur und den Krieg plant, und die Gesellschaft ist gerade in Deutschland wachsam, wie wir ja gesehen haben. Unpassende Vergleiche verharmlosen einerseits die Nazi-Zeit, andrerseits verstellen sie den klaren Blick auf die derzeitige Lage. Die ist freilich so, dass in einigen Ländern des ehemaligen Ostblocks viele Menschen an autoritäre Regierungsformen glauben, auch weil sie sich überfordert fühlen. Faschisten, und das sind Teile der AfD ganz sicher, wollen das ausnützen. Dagegen müssen wir aufstehen. Überall.

Keine Kooperation mit der FPÖ

Für NEOS ist die Panne von Erfurt eine Möglichkeit, sehr deutlich auf ein Prinzip aufmerksam zu machen: Die Pinken werden in keinem Fall mit der FPÖ kooperieren, Repräsentanten der NEOS werden sich auch nicht von der FPÖ in ein Amt wählen lassen. Dass NEOS in dieser Frage so glaubwürdig sind, hat mein Herz für diese Partei erwärmt, um es einmal pathetisch zu sagen.

Attacke auf gesamte Justiz

Emotional kann ich auch werden, wenn ich die Debatte rund um das „Hintergrundgespräch“ von Sebastian Kurz mit 40(!) Journalist_innen verfolge, die sich längst um die Frage dreht, ob Kurz absichtlich Justiz und Rechtsstaat beschädigt. Zunächst: Ein ausgebuffter Profi wie Kurz weiß, dass 40 Vertreter der Medienbranche nicht dicht halten. Also: Er hat die Attacke auf die Wirtschafts - und Korruptionsstaatsanwaltschaft ganz bewusst geführt. Er wollte der Öffentlichkeit vermitteln, dass da "böse rote Staatsanwälte arme unschuldige schwarze Manager und Politiker verfolgen würden, aktuell im Skandal um die Casinos Austria. 

Kurz hat inzwischen auch eingestanden, dass er diese Kritik geübt habe, angeblich mit anderen Worten. Was er nicht wollte war die öffentliche Diskussion darüber, ob der die Justiz beschädigen würde. Aber genau das hat er getan. Und genau das erinnert an sogenannte „illiberale Demokratien“ wie in Ungarn oder Polen, wo auch Richter massiv bedroht werden. Da müssen wir alle den Anfängen wehren. NEOS haben bereits eine parlamentarische Anfrage eingebracht, um in Erfahrung zu bringen, was genau der Kanzler mit seinen Kommentaren zur WKStA bezwecken wollte.

Justizministerin wird vorgeladen

Die Justizministerin bemüht sich, aber ob das reicht? In dem Moment, wo Kurz seinen Runden Tisch verkündete, hätte Alma Zadic ihm die Verfassung um die Ohren hauen müssen - zumindest im übertragen Sinn. Denn nach der Verfassung ist der Bundeskanzler eben kein Regierungschef, der beliebig Themen an sich reißen kann, sondern auch nur ein Minister mit seinen Zuständigkeiten. Der hervorragende Verfassungsrechtler Manfried Welan hat das in einem sehr klaren Aufsatz bestens erklärt. Auch die Europaministerin hat mit der Justiz nichts zu tun, nur weil sie einmal Richterin war. 

Die Grünen werden sehr schnell sehr viel mehr Selbstbewusstsein brauchen, wenn sie diese Koalition überleben wollen. Genau das hat in dieser Causa bisher gefehlt. Alma Zadic lässt sich auf den Ballhausplatz zitieren, anstatt dem völlig unzuständigen Kanzler auszurichten, dass sie mit den Richtern und Staatsanwälten selbst sprechen werde. Und außerdem hätte sie ihm ausrichten können, dass sie umso härter um ein ausreichendes Budget verhandeln werde. Sie hätte die Mehrheit der Österreicher_innen hinter sich gehabt. So aber wird sie am Montag halt auch im Kanzleramt dabei sein, und Sebastian Kurz wird uns erklären, dass er die Justiz stärken wird - derselbe Kurz, der sie gerade nachhaltig beschädigt.

Das System Kurz

Die Grünen müssen endlich das System Kurz verstehen. Einfach ausgedrückt ist es eine Art Feudalismus. Wie im Mittelalter gilt hier nur die persönliche Abhängigkeit oder gar Unterwerfung unter den Lehensherrn, der Posten vergibt oder auch wieder nimmt. Aus vertraulichen Gesprächen - ja, auch so etwas gibt es - mit Mitgliedern der ÖVP weiß ich, dass auch dort viele vor die Alternative gestellt wurden: Folgst du allem, was Kurz will, dann wirst du befördert, wenn nicht, können wir nichts mehr für dich tun. So ein System macht Angst- und genau das wollen sie. Wer nicht für uns ist, ist unser Feind. Ich habe das noch fast wortwörtlich so im Kopf. Solange an diesem System Kurz nicht gezweifelt wird, wird es funktionieren. Jedenfalls solange es Wahlerfolge gibt.

Als ich im Frühjahr 2019 innerhalb weniger Wochen das Buch über „Kurz und Kickl“ geschrieben habe war ich davon überzeugt, dass Kickl den autoritären Staat plante und Kurz ihn einfach gewähren ließ. Alleine die Tatsache, dass Kurz den Überfall auf das BVT unkommentiert geschehen ließ, war ja auch bezeichnend - erst jetzt, wo er gegen die WKStA polemisieren will, übt er Kritik. Ich glaube noch immer, dass Kurz keine großen gesellschafts-politischen Vorstellungen hat. Aber inzwischen meine ich doch, dass auch Kurz Gefallen am Funktionieren eines autoritären Staates hat, weil es zu seinem System der Abhängigen und Begünstigten passen würde. „Illiberale Demokratien“ sind aber auch immer korrupt. Wenn schon sonst nichts muss diese Tatsache reichen, um massiv dagegen zu kämpfen. Aber es geht auch um die Freiheit, die sehr viel schneller weg sein kann, als wir das heute glauben.

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