Hoffen und Bangen
Auf einer kleinen Bank in Irpin sitzen zwei junge Frauen und ein junger Mann. Zwischen zerbombten Häusern und kaputten Autos unterhalten sie sich angeregt. Werdet ihr hier bleiben? Habt ihr keine Angst vor neuen Angriffen? Nein, sie bleiben hier und wollen ihre Stadt wieder aufbauen. Irpin ist einer der Vororte von Kyiv, wo Hochhäuser und Einfamilienhäuser für viele Familien entstanden sind, auch für Flüchtlinge, die aus dem Donbass kamen. Russische Artillerie und Panzer haben hier alles beschossen, gleich zu Kriegsbeginn ist ein Großteil der Bevölkerung geflüchtet. Aber die Stadtverwaltung funktioniert, Strom - und Wasserleitungen sind wiederhergestellt, wie uns der stellvertretende Bürgermeister stolz erzählt. Der Überlebenswille dieser Menschen hier ist bewundernswert. Wo immer wir waren: Diese Menschen lassen sich von Putin weder ihr Leben noch ihre Pläne für die Zukunft nehmen.
Die fröhlichen Feuerwehrleute
In Borodjanka ist schon die Einfahrt in die Stadt bedrückend. Wir sehen ein ausgebombtes Wohnhaus neben dem anderen. Auch den Turm des Feuerwehrhauses haben die Russen beschossen. Aber vor dem Haus steht ein prächtiges Feuerwehrauto, ein Geschenk der niederösterreichischen Gemeinde Rabenstein an der Pielach. Der Kommandant empfängt uns mit einigen Kollegen und einem breiten Lachen. „Unser Turm steht noch“ sagt er stolz, „und mit eurem Auto sind wir besser gerüstet.“ Den Hund, der Sprengstoff in verminten Feldern sucht, haben sie „Patron“ genannt und einen Plüschhund mit Polizeiabzeichen herstellen lassen, den sie uns schenken. „Wie habt ihr euch euren Humor erhalten?“ frage ich die Feuerwehrleute. Was bliebe ihnen schon über, meinen sie. Sie wissen, was für sie richtig ist - ihre Heimat zu verteidigen und allen Menschen in ihrer Stadt helfen, wenn sie Hilfe brauchen. Ist der Krieg vorbei? „Nein, aber wir sind stärker“ sagen sie.
Zwei Parlamente wollen mehr Zusammenarbeit
Ruslan Stefantschuk, der Präsident der Werchowna Rada, des ukrainischen Parlaments, hat uns erst kürzlich in Wien besucht und eine Rede im Nationalrat gehalten, genau genommen in einer Sitzung vor dem Nationalrat, weil die FPÖ das so wollte. Dort hat man die Tragweite des Konflikts noch nicht verstanden - oder will es sich weiter nicht mit dem Kriegsdiktator verscherzen. Dabei betonte Stefantschuk, dass das Parlament in Kyiv arbeitet, dass Gesetze beschlossen werden- auch zur Bekämpfung der Korruption- und dass die Kriegsverbrechen mit Methoden des Rechtsstaats aufgeklärt werden müssen. In Wien hatte Stefantschuk einen schwarzen Anzug an, bei unserem neuerlichen Treffen in Kyiv war er wieder kämpferisch gekleidet, in einer grünen Hose und T-Shirt. Ihor Negulevski, der Obmann der ukrainischen Freundschaftsgruppe mit Österreich, der uns auch schon einmal besucht hatte, betonte, er wolle mehr Zusammenarbeit der Parlamente. Er selbst ist Vorsitzender des Ausschusses für Infrastruktur, aber auch die Ausschüsse für Bildung sollten sich treffen. Dazu kommt, dass die Ukraine im Bereich IT uns in manchen Bereichen voraus ist, da können wir auch etwas lernen. Mehr Kooperation der Parlamente, das kann für beide Länder nur gut sein.
Ukraine als Teil Europas
Am Freitag ist das Parlament in Kyiv für eine symbolische Geste zusammengetreten. In Anwesenheit von Staatspräsident Wolodomyr Selenskyi und - per Video - Ursula von der Leyen trugen 3 Soldaten eine große Flagge der EU in den Sitzungssaal. Wir durften als Gäste dabei sein, und nicht nur wir spürten die Emotionen. Einige Abgeordnete haben mir dann gesagt: „Wir sind sehr bewegt, dass ihr da wart.“ Das freute mich auch deshalb, weil ja oft hinterfragt wird, wie sinnvoll diese Aktivitäten sind. Präsident Selenskyi betonte in seiner Ansprache, dass mit dem Kandidatenstatus nur der erste Schritt geschafft sei. Da werde auch viel Arbeit auf das Parlament zukommen, um die Gesetze des Landes mit denen der EU abzustimmen. Anschließend haben wir Olga Stefanyshyna getroffen, die als stellvertretende Ministerpräsidentin innerhalb der Regierung für den Beitritt zuständig ist. Sie hat uns vom enormen Arbeitsdruck erzählt, aber auch von der Bedeutung dieser Schritte für ihr Land. Ich habe mit Olga in den letzten Monaten öfter gesprochen und bin jedes Mal beeindruckt, wie viel Kraft, Vision und Überzeugung diese jungen Politiker_innen der Ukraine verbreiten.
Das Gerede von „Verhandlungen“
Ich werde demnächst noch auf diese Reise zurückkommen, es gibt noch viel zu erzählen. Unvergesslich sind die Schritte durch zerstörte Siedlungen und Städte. Wie ist es möglich, dass ein Diktator im 21. Jahrhundert in Europa einen Krieg dieser Art führt: Zerstörung, um Angst zu verbreiten, Aggression, um ein größeres Russland - Novarossija, Neurussland - zu erzeugen? Und dabei werden Morde begangen, die ein ganzes Volk außerhalb der Weltengemeinschaft stellt. Was soll das für ein Plan sein? Was bisher bewirkt wurde ist der Zusammenhalt eines Volkes, das sich in der Geschichte mehrfach schwergetan hat, einen Staat zu bilden. Und trotz aller militärischer Schwierigkeiten zusammenhält - und gleichzeitig an den Wiederaufbau danach denkt. Da müssen wir mithelfen, jetzt, während des russischen Angriffs und danach, wenn er einmal Frieden geben wird. Davon bin ich nach dieser Woche mehr überzeugt denn je. Und wer sich jetzt in Kommentaren Friedensverhandlungen wünscht beweist damit mir seine oder ihre Ahnungslosigkeit. Putin hat einen Plan, der aber hat mit Frieden nichts zu tun. Seine Akte der Zerstörung haben ein Ziel: Die Auslöschung der Ukraine und ein großes Russland. Dafür schickt er Burjaten aus Sibirien nach Butscha, eine Stadt bei Kyiv, die wir auch besucht haben, wo ab dem 24. Februar fünf Wochen lang die Menschen terrorisiert wurden. Die Menschen in der Ukraine wehren sich nicht nur gegen Invasoren und einen Aggressor. Sie wehren sich auch dagegen, dass eine Besatzungsmacht ihr Leben bestimmen kann. In diesem Sinne kämpfen sie auch für uns. Wenn Putin und seine Militärs knapp 600 Kilometer von uns entfernt - so nahe liegt die Stadt Ushorod - Erfolg haben, warum sollten sie dort stoppen???