Heute vor einer Woche bin ich noch mit Flugzetteln am Währinger Kutschkermarkt gestanden und durfte anschließend mit Richard Lugner in seiner City diskutieren. Diese Woche ist schnell vergangen, ein wenig Erholung war schon nötig. Das endgültige Wahlergebnis zeigt aber, dass sich der gemeinsame Einsatz so vieler Idealisten bei NEOS ausgezahlt hat. Von 5,3 auf 8,1 Prozent, das ist schon beachtlich, fast 120.000 Menschen mehr haben die NEOS gewählt, und das bei niedrigerer Wahlbeteiligung. Vielen Dank.
Jetzt wird viel spekuliert: Will Sebastian Kurz am Ende doch wieder mit den stark geschwächten Freiheitlichen? Eine öffentliche Aufforderung von Elisabeth Köstinger an die FPÖ, sich Gesprächen nicht zu verschließen, hat dieses Gerücht genährt. Oder will Kurz ein europäisches Role Model werden? In Deutschland dürfte die nächste Regierung schwarz - grün sein, da könnte Österreich schneller sein. Oder will der ÖVP Chef den Abschwung der Wirtschaft mit den Sozialpartnern meistern und holt die SPÖ, eine Partei auf der Suche nach sich selbst, in die Regierung? Wahrscheinlich weiß er es selbst nicht, auch er kann die Dynamik der kommenden Wochen nicht abschätzen.
Eigenartig ist die Spekulation, die NEOS sollten als dritte Kraft in eine türkis - grüne Kombination. Eine ernsthafte Begründung dafür habe ich nicht gelesen. Dafür schreibt niemand, dass eine Dreierkoalition ÖVP-SPÖ-NEOS wenigstens zahlenmäßig Sinn machen würde, weil diese drei Parteien eine Zweidrittelmehrheit im Nationalrat hätten, die sie für Verfassungsgesetze verwenden könnten. Inhaltlich macht das aber auch keinen Sinn, SPÖ und ÖVP haben ihre Zweidrittelmehrheit, als sie diese noch hatten, leider eher dazu verwendet, Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshof durch Gesetze zu korrigieren.
Generell fehlt das große Konzept, wie Österreich erneuert und auf die großen Herausforderungen eingestellt werden soll. Die NEOS haben im Wahlkampf einige Pflöcke eingeschlagen, von der Transparenz über ein Klimapaket bis zur großen Bildungsreform. Aber keine Partei wollte auf diese konkreten Ideen einsteigen. Gewonnen haben Markenpflege und Emotionen, damit lässt sich noch kein Staat machen. Der neu gewählte Nationalrat tritt erst am 23. Oktober zusammen. Dann werden die Ausschüsse konstituiert. Aber dann sollten die Parlamentarier nicht auf die neue Regierung warten, denn das kann lange dauern. Jenseits von Ideologie und Klubzwang sollten dann die großen Themen angesprochen werden. Ein selbstbewusstes Parlament - in einer Demokratie sollte das eine Selbstverständlichkeit sein.
Der unstete Premier
Das britische Parlament wirkt für uns manchmal etwas chaotisch, aber einfach so drüberfahren über die Members of Parliament kann Premierminister Boris Johnson nicht, noch dazu, wo das Höchstgericht auf der Seite der Demokratie stand. Johnson muss gerade einen Zwangskurs in Realitätssinn durchmachen. Auch gegenüber der EU. Und auf Druck der Gerichte, die Johnson ebenso sehr unterschätzt hat wie das Parlament. Was heute so alles Regierungschef wird - in unserer Zeit der leeren Versprechungen und flotten Sprüche.
Das Parlament hat ein Gesetz beschlossen, dass eine Verschiebung des Brexit vorsieht, wenn es bis zum 19. Oktober keine Einigung mit der EU gibt. Von einem schottischen Gericht ließen Abgeordnete prüfen, ob Johnson das Gesetz einhalten muss. Die Regierung hat das nun schriftlich zugestanden, nachdem Grossmaul Johnson noch vor kurzem geprahlt hatte, er würde lieber „tot im Graben liegen“ als die EU um eine Verschiebung des Brexit zu bitten. Aber niemand kann im Moment sagen, wie ein neues Brexit Abkommen aussehen könnte. Der Präsident des EU Parlaments, David Sassoli sieht in Johnsons Vorschlägen zur Irland Grenze kein mögliches Ergebnis. Mit brachialen Sprüchen ist kein Staat zu machen, in so manchem Staat wird das Erlernen dieses Lektion etwas länger dauern.
Der berechenbare Präsident
Donald Trump ist in seiner Unberechenbarkeit leicht auszumachen. Natürlich twittert er jetzt ständig gegen die Demokraten und deren Impeachment Gelüste. Ob Nancy Pelosi und ihre Partei das alles so genau bis zum Ende gedacht haben ist ja auch fraglich. Ob Trump Angst hat, wie Pelosi zufrieden erklärte ebenfalls. Erstaunlich ist, dass Trump auch den chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping gebeten haben soll, auch gegen seinen Rivalen Joe Biden zu ermitteln. Denn der Handelskrieg mit Peking ist in vollem Gang, und auch hier ist der US Präsident wirr. Innerhalb weniger Minuten twitterte Trump, dass es einen Deal nur geben werde, wenn er gut für die USA sei, dann wieder sah er eine „sehr gute Chance“.
Wirtschaftsreformen - wer traut sich?
Trumps „America First“ - Handelspolitik führt seit Monaten zu Unsicherheit in Europa. Nun kommen die Rezessionsängste in Deutschland dazu. Die österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitute glauben nicht an eine Rezession in Österreich. Martin Kocher (IHS) und Christoph Badelt (Wifo) glauben, dass mit Jahresende der Tiefpunkt des Konjunkturzyklus erreicht sein wird. Das alleine ist aber noch keine gute Nachricht. Denn viele Beschlüsse der populistischen Parteien ÖVP, SPÖ und FPÖ in der letzten Nationalratssitzung vor der Wahl belasten das Budget. Vor allem dort, wo wir dringend viele Millionen brauchen, bei Bildung und Forschung fehlt das Geld. Also: Reformen, aber da fehlte bisher der Mut. Wer auch immer künftig regieren wird, muss die Geldverschwendung zwischen Bund und Ländern stoppen, und die sinnlosen Förderungen.
KHM: Ein Orden für Sabine Haag
Die Posse um einen Herrn Eike Schmidt, der lieber in Florenz bleiben will und nach dem Regierungswechsel in Rom auch darauf hoffen darf, werden wir schnell vergessen - Dank Sabine Haag. Die Direktorin des Kunsthistorischen Museums hätte es schon ursprünglich verdient, verlängert zu werden, dann stand sie für eine Übergangszeit zur Verfügung. Jetzt sind wir froh, dass sie Kunstsinn, Management und Disziplin in so perfekter Weise vereint und dem KHM weiter zur Verfügung steht. Dafür gebührt ihr ein Orden.
Ich wünsche Ihnen ein kunstsinniges Wochenende, gerade in Wien sind im Moment mehrere hervorragende Ausstellungen zu sehen.
Ihr Helmut Brandstätter