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Spiel mit Personen und Abhängigkeiten


In den letzten Tagen habe ich sehr viel darüber nachgedacht, warum die Angriffe des Kanzlers auf die Justiz mich und ein paar andere so aufregen, große Teile der Bevölkerung aber kalt lassen. Und warum es so wenige Menschen berührt hat, dass die letzte Regierung unter Kurz einige Gesetze beschließen ließ, deren Verfassungsmäßigkeit zu bezweifeln war, wie im Fall der Mindestsicherung, wo der VfGH das Gesetz wieder aufheben musste.

Jetzt fällt auch noch das prognostizierte Defizit für die neue Österreichische Krankenkasse weit höher aus als angekündigt und wieder macht sich keine breite öffentliche Enttäuschung über die Politik breit, obwohl es sich hierbei um eine besonders dreiste Lüge handelt. Kurz und Strache wiederholten mehrmals die Parole, für die irgendein Marketing-Typ wohl sehr viel Geld bekommen hat: „Aus der Funktionärsmilliarde wird eine Patientenmilliarde.“ Und da die beiden Herren zu häufiger Wiederholung der immer gleichen Sätze neigten und nach wie vor neigen, haben wir diesen Spruch sehr oft hören müssen. Nur war auch das von Anfang an eine Lüge – und die beiden wussten um die Unwahrheit des Gesagten –, weil es diese Funktionärsmilliarde so niemals gab. Ja, einige satte Millionen Euro inklusive Sitzungsgeld haben viel zu viele Funktionäre bekommen, aber ganze Milliarden? Das war mit Sicherheit einer Lüge.

Ob Kurz und Strache wirklich an die großen Einsparungen geglaubt haben? Vielleicht, sie hatten und haben schließlich beide keinerlei Ahnung davon, wie ein gutes Gesundheitssystem funktioniert. Jetzt wissen wir um das große Defizit von mehreren Hundert Millionen – und klar gibt es jetzt die gegenseitigen Schuldzuweisungen. Doch das hilft uns einfach nicht weiter. Wirklich sparen könnten wir durch einen bundesweiten Spitalsplan, aber den lassen die Länder nicht zu, denn sie wollen ja selbst Goodies ans Volk verteilen können. Wir sehen: Kurz macht einen auf starker Mann, aber wo es um die Interessen der Länder und der dortigen schwarzen Landeshauptleute geht, ist auch seine Macht sehr schnell am Ende.

Staatsmann? Sollen andere spielen

Aber zurück zur Frage, warum dieses schlechte Regieren, kombiniert mit den Attacken auf die Justiz so wenige Menschen aufregt. Weil es wohl im Alltag der meisten Leute keine Rolle spielt. Mit der Justiz hat man selten zu tun und wieviel Defizit die Kassen haben, tangiert uns auch nicht wirklich, solange wir nicht zu lange beim Arzt warten müssen oder mit ernsthaften Beschwerden in einem Krankenhaus liegen. Und dass wieder ein Stück Glaubwürdigkeit der Politik zerstört wurde? Ja, das wohl schon, aber die war vorher auch nicht so groß. Da ist also ein populärer Politiker, der nach einem weiteren Wahlsieg endlich üben könnte, ein echter Staatsmann zu werden. Aber dazu hat der von Umfragen abhängige Bundeskanzler eben nicht das Zeug.

Lachen bleibt erlaubt

Gleichzeitig beobachte ich einen schleichenden Prozess, der mich schon wieder vor dem Weg in den autoritären Staat warnen lässt. Ein untrügliches Zeichen für demokratischen Rückgang findet sich darin, dass Kritik an der Regierung immer öfter nur noch satirisch daher kommt. Die stärkste politische Sendung des ORF mit der meisten grundsätzlichen Kritik findet am Donnerstagabend statt, absurderweise auch noch parallel zur ZIB2. In der Nachrichtensendung bemühen sich Moderator_innen, aus Minister_innen einen konkreten, nicht vorher eingelernten Satz heraus zu bekommen – vergeblich, das ist eh klar, die Message Control Trainings wirken ja –, während Peter Klien in „Gute Nacht Österreich“ das politische System grundsätzlich vorführt, mit gut recherchierten Geschichten und Kommentaren. Oder auch Christian Nusser, Chefredakteur von „heute“. Er schreibt den lustigsten morgendlichen Newsletter, den es zurzeit gibt, durchaus auch tiefgründig und kritisch. Aber eben humorvoll, so dass ihn die Politik nehmen kann wie die üblichen Karikaturen.

Ansonsten versucht die Kurzsche Medienkontrolle Druck auszuüben, wo und wann es nur geht. Und Minister_innen machen sich inzwischen selbst zur Karikatur, indem sie mit ihrem Blabla nicht einmal mehr versuchen, kurzfristig auf die gestellten Fragen einzugehen. Aber auch das regt niemanden mehr auf, die Politik befindet sich in der Spirale nach unten, und den Kanzler freut das, weil er mit seinen vorgestanzten Sätzen das Gefühl vermitteln will, bei ihm seien alle Themen gut aufgehoben. Bei den Attacken auf die Justiz hat für ihn diese Methode das erste Mal nicht funktioniert. Weil man ihm angesehen hat, dass er den Spin nicht mehr im Griff hatte. Andere Beispiele werden folgen. Es bleibt also die Hoffnung, dass immer mehr Menschen erkennen, dass bei uns nicht Politik für die Zukunft des Landes gemacht wird, sondern reine Show für die Schlagzeile von morgen.

Video-Tipp: "Das Burgtheater und der Regierungssprech - warum Journalist_innen ab jetzt nach Schuhgrößen von Regierungspolitiker_innen fragen sollten"


Ein Ende der Inseratenkorruption?

Die gute Stimmung für die Regierung kauften sich schon einige Regierungen durch heftige Buchungen von Inseraten, die die Steuerzahler zu berappen hatten, ohne dass sie davon profitiert hätten. Schon Werner Faymann hat da eine gewisse Meisterschaft entwickelt, aber er war ein Anfänger verglichen mit Sebastian Kurz. Der verwendete von Anfang an auch den Boulevard für seine Botschaften, die immer so einfach gestrickt waren, dass sie in wenige Worte zu fassen waren („Patientenmilliarde“ und so). Ich habe beim Kurier regelmäßig von Inseratenkorruption gesprochen. Man möchte meinen, dass das ein Vorwurf ist, der Politiker zum Widerspruch reizen sollte, oder gar zu Klagen. Doch keine Rede davon. Sie haben nicht einmal ein schlechtes Gewissen, wenn sie nach dem Prinzip „Prassen hat bei uns eh System“ leben. NEOS haben daher nun eine parlamentarische Anfrage an Bundeskanzler und sämtliche Minister_innen eingebracht, durch die wir in Erfahrung bringen wollen, wer mit welchen Herausgeber_innen oder (Chef-)Redakteur_innen im Gespräch war und ist: Gibt es Story gegen Geld? Auch fragen wir, wann es denn endlich eine Agentur des Bundes geben wird, die für alle Minister_innen gemeinsam die besten Tarife aushandeln wird, wenn schon so viel von öffentlicher Stelle geworben werden muss. Über die Beantwortungen, die ja sicher ganz lauter und ehrlich sein werden, werden wir detailliert berichten.

SPÖ: Programmiertes Unglück

Wenn Sie für irgendetwas das richtige Timing brauchen, fragen Sie NICHT bei der SPÖ nach. Als es das große Thema des Ibiza-Ausschusses gab, tat sie alles, um dieses für die ÖVP unangenehme Thema aus der Berichterstattung zu drängen, indem sie Mitarbeiter_innen kündigte. Jetzt, wo die Kurzsche Attacke auf die Justiz für Empörung sorgen sollte, stellt Pamela Rendi-Wagner die Machtfrage: Die SPÖ-Mitglieder sollen ihr sagen, ob sie ihre Chefin bleiben soll. So löst man eine Personaldebatte aus, die der Wiener SPÖ vor den Landtagswahlen so angenehm sein muss wie ein juckendes Geschwür an schwer erreichbaren Teilen des Körpers. Selbst wenn sie 75 Prozent Zustimmung erreicht, werden unfreundliche Medien die Frage stellen, ob das ein ausreichend zufriedenstellendes Ergebnis ist.

Hier darf man auch als Demokrat ruhig die Schwarmintelligenz in Frage stellen. Bruno Kreisky wurde schließlich beim SPÖ-Parteitag 1967 mit nur etwas mehr als Zwei Drittel der Stimmen zum Parteichef gewählt, aber bei einer Urabstimmung hätte womöglich Hans Czettel gewonnen. Eine der vielen Fragen, die die SPÖ-Mitglieder nun beantworten dürfen klingt, als würde man fragen, bist Du lieber alt und krank oder jung und fit: „Wie wichtig ist es, dass die SPÖ intern diskutiert und nach außen geschlossen auftritt?“ Die Wiener SPÖ, die sich auf Wahlen vorbereitet, wird jubeln – und Pamela Rendi-Wagner die Aktion nicht mehr vergessen, egal wie diese am Papier für sie ausgeht.

ÖBAG: Das Ende von Thomas Schmid

Über die Linie des Kurier wird in den sozialen Medien viel geschrieben und spekuliert. Daran werde ich mich nicht beteiligen, das muss jeder für sich beurteilen, ich tue es auch, behalte es aber lieber für mich. Interessant ist jedenfalls der jüngste Artikel von Andrea Hodoschek über Thomas Schmid, der sich als Kabinettschef von Finanzminister Löger die Ausschreibung für den Vorstand der Staatsholding ÖBAG zuerst selbst bastelte und dann den Job – welch Wunder – auch gleich bekommen hat, obwohl er das Wort „Compliance“ nicht einmal buchstabieren kann. Seine Rolle in der Causa Casinos sowie seine Nähe zur Novomatic werden wir im U-Ausschuss genauestens beleuchten. Dass er in einem halben Jahr noch Vorstand der ÖBAG ist, können wir ausschließen. Das weiß auch Kurz, der sich für Schmid nicht mehr verwenden wird, sollte er dadurch selbst gefährdet werden. So ist nämlich die Politik, wie der Kanzler sie bei uns in Österreich sieht: Als Spiel mit Personen und Abhängigkeiten.

Video-Tipp: Steffi Krisper auf Puls4 über "Kurz vs. Justiz"

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